Spradow hat den Hut auf

Blomberg(BZ). Verbandsliga! Um 20.04 Uhr bricht auf der Bank der HSG Spradow riesiger Jubel aus. Sekunden vor dem Ende des Landesligaspiels beim TV Großenmarpe gibt Dimitri Rausch beim 28:23 (14:9) den Ball einfach nicht mehr aus der Hand. Die Sirene ertönt – und Spradow ist Handball-Verbandsligist. »Heute will ich keinen vor 5 Uhr im Bett sehen«, gibt Trainer Malte Mischok die Party-Taktik vor.

Horst Droese stürmt als Erster von der Tribüne aufs Spielfeld. Der Vorsitzende wirft mit grünen Aufstiegs-T-Shirts um sich. Die Spieler bilden eine Jubeltraube und schreien die Freude über den größten Triumph der Vereinshistorie heraus. »Auf diesen Moment habe ich 30 Jahre gewartet«, sagt der von seinen Gefühlen fast überwältigte langjährige Abteilungsleiter Horst Mischok. »Jetzt sind wir in einer Liga mit Mennighüffen.«

Spradow hat die Aufgabe am letzten Spieltag mit Bravour erledigt. Als die Nachricht vom 25:22-Sieg des Aufstiegsrivalen HSG Porta in Blomberg die Runde macht, interessiert sich im Partyrausch keiner mehr für den geschlagenen Kontrahenten. »Herzlichen Glückwunsch an Porta, Brake und EURo. Sie haben eine tolle Saison gespielt«, schickt Malte Mischok Grüße an die Rivalen. »Auf ihre Siege gegen uns können sie sich jetzt etwas einbilden«, spielt der Trainer auf fünf Pleiten in sechs Spielen gegen die anderen Topteams der Liga an. »Das ist wie bei Jan Ullrich«, scherzt Dimitri Rausch. »Nie eine Etappe gewonnen, aber trotzdem die Tour de France.« Das Gelbe Trikot hängt in Spradow – auch wenn die Meister-T-Shirts grün sind. Unbefleckt bleiben sie nicht lange. Noch auf dem Spielfeld werden die ersten Bier- und Sektflaschen geköpft. Malte Mischok ist der erste, der eine ausgiebige Dusche über sich ergehen lassen muss. Die Spielerfrauen verteilen an ihre Helden rote Rosen – und jede Menge Küsschen. Kreisläufer Sebastian Theise klettert die Brüstung zur Tribüne hoch, schnappt sich ein Megaphon und stimmt ein »Humba, Humba« auf den Aufstieg an.

Hut ab vor der Leistung, Hut auf für die Helden: Horst Droese übergibt Trainer, Spielern und Betreuern schwarze Hüte. Eine dem Anlass angemessene Kopfbedeckung. »Till Orgel ist in letzter Zeit immer mit einem Hut zum Training gekommen. Er stand ihm so gut, dass jetzt alle einen tragen sollen«, lüftet Malte Mischok das Geheimnis – und bekommt von Frederik Iffland die nächste Flasche Bier über den Kopf gegossen.

Dann erfüllt Daniel Overlack noch eine Pflichtaufgabe: Der Kapitän nimmt von Staffelleiter Friedhelm Krietemeyer die Meisterurkunde entgegen, das Team feiert es mit einer Laola-Welle. Iffland packt den Ghettoblaster aus, es geht vor die Halle. Mischok zündet sich eine dicke Zigarre an – und genießt den Aufstieg in vollen Zügen, während ein Spieler aus der zweiten Mannschaft von einer benachbarten Tankstelle hochprozentige Stimmungsmacher anschleppt. Spradow ist am Ziel.

Um 18.25 Uhr noch nicht. Malte Mischok klatscht jeden seiner Jungs, der aus der Kabine aufs Spielfeld läuft, ab. Auf der Tribüne feuern die 100 mitgereisten Fans ihr Team vor dem Aufstiegsfinale an. Nach dem 3:3 setzt sich Spradow ab und führt mit 10:5. In die Pause geht es mit einem beruhigenden 14:9-Vorsprung. Das ist ein Verdienst von Dimitri Rausch und Till Orgel. Sie sind die einzigen, die in der ersten Halbzeit aus dem Spiel heraus treffen. Theise steuert noch ein paar Siebenmetertreffer bei. In Großenmarpe ist klar: Da brennt nichts an. Einzig Sven Töpelt und der starke David Tölle sind nicht in den Griff zu bekommen. Töpelt (2) und Florian Schröder verkürzen direkt nach dem Wechsel zwar mit drei Toren in Folge auf 12:14, doch Orgel zimmert den Ball danach zweimal zum 16:12 ins Tor.

Erst beim 21:15 in der 44. Minute trifft mit Malte Langer bei einem Gegenstoß ein anderer Spieler als Theise, Orgel oder Rausch. Spradow geht mit 26:19 in Führung – und bekommt dann doch noch Nervenflattern: Fehlwurf um Fehlwurf. »Da hätten wir den Ball nur einmal rein machen müssen«, sagt Mischok. Großenmarpe deckt offen und verkürzt mit vier Toren in Folge zum 23:26. Doch dann erzielt Mirco Potthoff 90 Sekunden vor dem Ende das 27:22. Daniel Overlack verwandelt noch einen Siebenmeter zum 28:23 – die Party kann starten. Irgendwann, kurz vor 22 Uhr setzt sich der HSG-Partybus in Richtung Bünde in Bewegung. Die Rückfahrt wird zu einer rauschenden Feier, die im Vereinsheim am Herzogweg bis in die frühen Morgenstunden weitergeht. Vor 5 Uhr ist kein Spieler im Bett. Hut ab!

HSG Spradow:Rollwitz (1. – 54.), Habbe (ab 54.) – Brockschmidt (n.e.), Rausch (5), J. F. Koebke (3), T. Koebke, Theise (6/6), Taubenheim Heise, Overlack (1/1), M. Langer (1), D. Langer, Potthoff (2), Orgel (10).

Aufstiegs-Splitter

Absteiger macht sauber

Bier- und Sektduschen auf dem Hallenboden: Die Spradower Party-Gesellschaft hinterlässt in Blomberg einen bleibenden Eindruck. Damit der Verein nicht zur Kasse gebeten werden muss, hilft der Gegner aus. Großenmarpes Hallensprecher schnappt sich nach den Meisterfeierlichkeiten einen Wischer und kommt kaum hinterher, den Boden von klebrigen Flüßigkeiten zu befreien. Und das in einer der bittersten Stunden in der TVG-Geschichte. Der Verein ist in die Bezirksliga abgestiegen. Aber der Hallensprecher hilft gerne: »Wer Sport gemacht hat, versteht, dass man einen Aufstieg so feiern muss.« Von Horst Droese gibt es ein Dankeschön. »Das ist nicht selbstverständlich. In Bünde hätten wir den Hallenwart längst auf der Matte stehen«, sagt der Vorsitzende der HSG.

Aufstieg am Geburtstag

Für Björn Rollwitz ist es ein besonderer Tag. Der HSG-Torhüter feiert seinen Geburtstag und hat im Tor wenig Probleme. »David Tölle und Sven Töpelt sind nie in den Griff zu bekommen«, sagt Rollwitz, bevor das Team ein Geburtstagsständchen anstimmt. Und um Mitternacht wird wieder gesungen: Tim Koebke löst Rollwitz als Geburtstagskind ab.

Im Bus ist noch Platz

Im Partybus nach Bünde: Trainer Malte Mischok versucht nach der Partie jeden Fan zur Rückfahrt im eigentlich ausgebuchten Bus zu überreden: »Ich entscheide, wann der Bus voll ist. Zur Not sitze ich beim Fahrer auf dem Schoß.«

Das perfekte Drehbuch

Für Daniel Overlack ist Schluss: Der Kapitän läuft in Großenmarpe zum letzten Mal in der ersten Mannschaft auf, bevor er kürzer tritt. »Ich trete jetzt auf dem Höhepunkt ab. Aufstieg im letzten Spiel und dann noch das letzte Landesliga-Tor für Spradow geworfen. Jetzt kann ich aufhören. Das war ein schönes Drehbuch«, sagt Overlack.

TVG hat kurz Hoffnung

Staffelleiter Friedhelm Krietemeyer ist extra aus Minden nach Blomberg gekommen, um der HSG Spradow die Meisterurkunde überreichen zu können. Als Großenmarpe noch einmal kurzzeitig verkürzt, bleibt der Staffelleiter ruhig: »Nach Unterlübbe muss ich heute nicht mehr fahren.« Krietemeyer behält Recht, Spradow bekommt die Urkunde. Vorher spricht der Offizielle aber zu den Großenmarpern: »Zwei Landesligisten haben zurückgezogen. Ihr könnt die Relegation spielen.« Der TVG hat noch einmal Hoffnung, da LIT NSM III in der Staffel I und die SG Sendenhorst ihren Verzicht auf die Landesliga erklärt haben. Doch dann erfahren die Großenmarper vom Sieg der TG Lage bei Lahde/Quetzen – Abstieg.

Kein Kuss für Vette

Horst Mischok ist angespannt. »Das wird eine enge Kiste«, sagt der Trainervater vor der Partie auf der Tribüne zu Ex-Coach Pascal Vette. Doch HSG-Urgestein Vette kann Mischok beruhigen: »Hier brennt nichts an. Wir gewinnen mit acht Toren.« Mit Mischoks Antwort hat Vette nicht gerechnet. »Wenn das so kommt, dann küsse ich dich«, kündigt er an. »Dann doch lieber mit sieben Toren«, kontert Vette.

Droese ist ganz ruhig

»So ruhig war ich selten vor einem wichtigen Spiel«, sagt Spradows Vorsitzender Horst Droese. »Heute kann nichts mehr schief gehen. Erst vermeidet der Hamburger SV den direkten Abstieg, dann gewinnt unsere A-Jugend bei der Aufstiegsrunde beide Spiele – und aller guten Dinge sind ja drei…«, sagt der HSG-Boss. Und behält Recht.

Kommentar

»Mission erfüllt« steht auf den Aufstiegs-Shirts der HSG Spradow. Es war ein Aufstieg mit Ansage. Auch wenn der akribische Trainer Malte Mischok betont, dass man das Wort Aufstieg vor der Saison nicht explizit in den Mund genommen habe, ist der größte Triumph der 114-jährigen Vereinsgeschichte von langer Hand geplant. Die HSG hat sich gezielt verstärkt – und dabei auch Glück gehabt. Kreisläufer Sebastian Theise wollte eigentlich nur bei Spradow ein wenig mittrainieren und wird eine wichtige Säule des Titelteams. Zudem zahlt sich die Nachwuchsarbeit aus. Gleich fünf Akteure aus der A-Jugend-Oberliga-Zeit sind Stammspieler.

Diesen Aufstieg hat sich Spradow mit starken Leistungen redlich verdient. Da kann die HSG auch mit dem winzigen Makel leben, fast alle Spitzenspiele verloren zu haben. Für die neue Saison ist das allerdings ein wichtiger Fingerzeig: In der Verbandsliga wird es schwer. Mit Gunnar Heise und Daniel Overlack treten zwei Spieler kürzer, Neuverpflichtungen wurden noch nicht präsentiert. »Wir befinden uns in drei, vier Gesprächen«, verkündet aber Teammanager René Grohmann. In der Stunde des größten Triumphs gilt es nun, Fehler zu vermeiden.

Bedanken kann sich Spradow bei LIT NSM III. Die abstiegsbedrohten »Nordies« rüsteten gegen Spradow-Verfolger Porta mächtig auf und klauten dem Team von Dennis Eichhorn zwei Punkte – und zogen nun zurück. Das ist Wettbewerbsverzerrung – aber nicht Spradows Problem. Die HSG spielte eine sensationelle Serie und hielt sich bis auf einen Ausrutscher gegen Lage gegen die Konkurrenz von unten schadlos. Die Aufstiegsrivalen schafften das nicht.   Sebastian Picht

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